Gender Studies

Was sind Gender Studies?

Den Gender Studies geht es um die kulturelle Praxis der Geschlechterunterscheidung: Wie und warum wird diese Unterscheidung kulturell veranschlagt, was verstetigt sie institutionell, was drängt ihre Relevanz in demokratisch verfassten Gesellschaften zurück? Die Gender Studies haben sich aus der Frauen- und Männerforschung entwickelt, indem sie deren Fragestellungen einer reflexiven Wendung unterzogen. Von der Frage, wie Frauen (und Männer) leben, was sie unterscheidet und verbindet und was die Dominanz der Männer erklärt zu der grundlegenderen Frage, wie eigentlich die Unterscheidung von Frauen und Männern kulturell erzeugt und aufrechterhalten wird:
Wie und warum wurde immer wieder versucht, gerade diese soziale Unterscheidung als ein natürliches Phänomen darzustellen, das von kultureller Sinnproduktion unabhängig ist? Welche kulturellen Praktiken und Diskurse unterscheiden Personen lebenslänglich, trennscharf und ohne Ausnahme so, dass sie erstens nach ihrer Unterscheidung wieder paarweise aufeinander verpflichtet werden und zweitens in eine vielfach asymmetrische Ausgangslage geraten? Wie sind diese Diskurse und Praktiken eingebettet in andere Formen sozialer Teilungen, die sie verstärken und abschwächen können: z.B. Alter, Klasse und Ethnizität? Wie sind sie eingenistet in Prozesse der Subjektkonstitution? Was also macht sie biografisch, kognitiv und emotional so schwer hintergehbar?
Die Geschlechterdifferenz ist ein Phänomen, das sich zu allen historischen Zeiten, in allen bekannten Gesellschaften findet - freilich in Ausgestaltungen, die sich gravierend von unseren klassifikatorischen Grundannahmen unterscheiden können. Die Unterscheidung von ‘Geschlechtern’ ist der vermutlich älteste Fall sozialer Differenzierung, an dem sich weitreichende Einsichten entwickeln lassen, aus denen auch für andere Phänomene gelernt werden kann: für die Dynamik sprachlicher Klassifikationen, für die Kulturgeschichte des Körpers, für das Verhältnis von Kultur und Natur, für die Theorie sozialer Ungleichheit usw.
Die Geschlechterdifferenz ist ferner ein Phänomen von beeindruckender Ubiquität im sozialen Gefüge: Es steht nicht nur für die Teilung von Körpern, sondern auch für die von Räumen, Inszenierungsmitteln, Tätigkeiten, Psychostrukturen, Machtressourcen, Sprachgestalten, sozialen Positionen usw. Und schließlich handelt es sich um ein Phänomen, das in verschiedensten Schichten und Strängen kultureller Produktion anzutreffen ist: in den Metaphern und textuellen Strategien von juristischen, literarischen und wissenschaftlichen Diskursen; in den Interaktionsskripten von Paarbeziehungen, in den Strukturen von Arbeitsorganisationen, in den esoterischen Praktiken von Laboratorien, in den Sprachspielen von Schülern, im Design von technischen Artefakten usw. Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass die Gender Studies von Beginn an ein Forschungsfeld waren, zu dem neben der Soziologie auch andere kulturwissenschaftliche Disziplinen faszinierende Beiträge gemacht haben, vor allem Ethnologie und Geschichtswissenschaften, Linguistik und Literaturwissenschaften.

Einführung in die Gender Studies (Vorlesung)

Die Vorlesung bietet eine Einführung in die Gender Studies - das ist die disziplinenübergreifende Forschung zur kulturellen Geschlechterdifferenzierung. Sie richtet sich an Studierende der Soziologie und anderer kulturwissenschaftlicher Fächer. Sie gibt eine Orientierung über die Soziologie, Ethnologie, Linguistik und Geschichte der Geschlechterdifferenz und dient der Vermittlung eines kulturwissenschaftlichen Blicks auf die Praxis der Geschlechterunterscheidung. Die Vorlesung wird dabei wiederkehrende Strukturmomente der Geschlechterdifferenzierung in sozialen Beziehungen, Kommunikationsprozessen und Wissenssystemen beleuchten.

Literatur
Bußmann, H./Hof, R. (Hg.) 2005: GENUS. Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Ein Handbuch. Stuttgart: Kröner Roscoe, W., 1998: Changing Ones. Third and Fourth Genders in Native North America. Maximilian Foucault M., 1998: Über Hermaphroditismus. Der Fall Barin. Suhrkamp Frevert, U., 1995: Mann und Weib und Weib und Mann. Geschlechterdifferenz in der Moderne. München Laqueur T., 1992: Auf den Leib geschrieben. Zur Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt: Campus

Einführung in die Soziologie der Geschlechterdifferenz (Übung)

Die Übung bietet eine Einführung in die Soziologie der Geschlechterdifferenz. Anders als die Frauen- oder Männerforschung, die die alltagsweltliche Unterscheidung zweier Geschlechter für ihre Forschungsfragen einsetzt, macht die Soziologie der Geschlechterdifferenz diese Unterscheidung selbst zum Thema: Auf welche Weise, in welchen Situationen und unter welchen institutionellen Randbedingungen machen wir eigentlich einen Geschlechtsunterschied im Personal der Gesellschaft? Die Übung wird diese Fragen anhand ausgewählter Texte und Praxisfelder (wie Schule, Klinik, Arbeitsorganisationen u.a.) verfolgen. Die Übung dient der Vertiefung von Themen der Vorlesung 'Einführung in die Gender Studies' für Hauptfachstudierende der Soziologie. Sie setzt den begleitenden Besuch dieser Vorlesung voraus.

Theorien der Geschlechterdifferenz (Seminar)

Was für theoretischen Anforderungen müssen Ansätze in den Gender Studies genügen, die die Geschlechterdifferenz nicht als eine fraglose biologische Gegebenheit voraussetzen, sondern mit kulturwissenschaftlichen Denkmitteln rekonstruieren wollen? Das Seminar wird ein paar Angebote sichten. In ihr sollen theoretische Schlüsseltexte zur sozialen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit erarbeitet werden, die den Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven erfassen: Differenzierungstheorie, Ethnomethodologie, Interaktionismus, Poststrukturalismus, Phänomenologie des Leibes u.a..

Gender Indifferenz: Über das Absehen von Unterscheidungen (Seminar)

Wenn man die Geschlechterunterscheidung nicht einfach als ein Beobachtungsinstrument einsetzt (und dann Frauen und Männer vergleicht), sondern zum soziologischen Thema macht, stellt man schnell fest, dass sie für die soziale Praxis eine zeitlich und örtlich je verschiedene Relevanz besitzt. Oft ist die Unterscheidung von '€˜Geschlechtern'€™ für soziale Prozesse bedeutungslos oder überlagert von anderen Unterscheidungen. Das Seminar widmet sich der Frage, wie das praktisch möglich ist und wie es sich theoretisch konzeptualisieren lässt. Wie kann man von etwas '€˜Offensichtlichem'€™ absehen? Wie brechen und transponieren sich soziale Unterscheidungen im Verlauf von Interaktionen? Welche institutionellen Arrangements halten die Geschlechterdifferenz im Schwebezustand, welche nötigen sie den Akteuren auf? Das Seminar soll am Fall der Gender Indifferenz etwas über die Kontingenzen sozialer Differenzierung und kultureller Klassifikation lernen lassen.

Literatur u.a.:
Heintz Bettina/Eva Nadai (1998): Geschlecht und Kontext. De-Institutionalisierungsprozesse und geschlechtliche Differenzierung. Zeitschrift für Soziologie 27: 75-93
Hirschauer, Stefan (2001): Das Vergessen des Geschlechts. In: Heintz, Bettina (Hg.), Geschlechtersoziologie. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 208−235.
Luhmann, Niklas (1988) Frauen, Männer und George Spencer Brown. Zeitschrift für Soziologie 17: 47‑71

Soziologie der Paarbeziehung (Seminar)

Das Seminar umkreist ein elementares Phänomen sozialer Ordnung: das paarige Auftreten von Individuen in langfristigen geschlechtsungleichen Beziehungen. Das seltsame Phänomen wird zunächst formalsoziologisch auf Strukturmerkmale dyadischer Sozialbeziehungen betrachtet, sodann historisch unter dem Aspekt des Wandels der Liebessemantik. Weitere Themen sind: Paarbildungsregeln und Attraktivitätsnormen, Geschlechtskomposition und Milieudifferenzierung, häusliche Arbeitsteilung und Konflikte.

Gender Trouble (Seminar)

Das Seminar geht dem soziologischen Gerücht nach, auf dem Planeten Erde würden permanent zwei Geschlechter unterschieden. Es versucht dieses bislang unbekannte Phänomen mittels terrestrischer Verfahren der Datenerhebung und -analyse empirisch zu explorieren. Die Veranstalterinnen bieten dafür Inputs in Gestalt von methodischen Vorträgen, exemplarischen Studien, Daten zur Sekundäranalyse und begleitender Projektsupervision. Die Forschenden arbeiten in Kleingruppen an der Erhebung, Aufbereitung, Analyse und Präsentation von Daten. Dies können Beobachtungsprotokolle, Ton- und Bildaufzeichnungen oder Textartefakte sein. Das Phänomen soll in seiner Ubiquität verfolgt werden: in Paarbeziehungen und Diskotheken, auf Schulhöfen und Toilettenwänden, in Schimpfwörtern und Fernsehdiskussionen, auf Straßen und Litfasssäulen. Die Teilnahme ist äußerst arbeitsintensiv und verlangt Selbständigkeit, Sachengagement und Organisationstalent.

Soziologie des Körpers (Seminar)

Lange Zeit unbeachtet, wurden Körper in den letzten zehn Jahren zu einem breit diskutierten Thema in der Soziologie. Im Zuge eines „body turn” (Gugutzer 2006) gerieten neben den Diskursen über Körper, vor allem auch die vielfältigen und unterschiedlichen Praktiken der kulturellen Formung und der interaktiven Einsätze von Körpern in den Blick. Wie müssen Körper für einfache Praktiken wie Schlafen oder Fahrstuhlfahren in Stellung gebracht werden? Wie sorgen sie dafür, dass Kommunikation entstehen oder vermieden werden kann? Wie bedienen sie Artefakte wie Fahrkartenautomaten oder aber auch andere Körper wie etwa beim Paartanz? Wie lassen sie die konstante Zugehörigkeit zu einem Geschlecht auf den ersten Blick erkennbar werden?

Das Seminar beschäftigt sich mit den verschiedenen theoretischen Vorschlägen einer Soziologie des Körpers. Im Vordergrund stehen zivilisationstheoretische, strukturalistische und praxistheoretische Ansätze.

Sex in the City - Ethnographische Geschlechtsdifferenzierungsforschung (Seminar)

Folgt man Goffman, so vollzieht sich die Geschlechterordnung in fortwährender (Selbst-) Darstellung von Geschlechtern und Geschlechtsbeziehungen. Ihr primärer Schauplatz hingegen ist die (heterosexuelle) Paarbeziehung. Die ethnographisch angelegte Geschlechtsdifferenzierungsforschung widmet sich insbesondere den Praktiken des Zeigens, Aufführens, Darstellens von Geschlecht. In diesem Seminar sollen Praktiken untersucht werden, die im weitesten Sinne mit „doing gender while doing sexuality” umschrieben werden können. Als Schauplatz sollen uns öffentliche Orte in der Stadt, also dem architektonisch gestalteten materialen Teil des Sozialen dienen. Wir wollen fragen, wie Räume sexualisiert werden und sexualisieren, und wie in diesen Räumen Gender in seinen vielen Facetten aktiviert wird. Gegenstände solcher Forschung können sein: Öffentliche Badeanstalten und das Management von Haut, Die Diskothek als Ort sexueller Allokation (vom Türsteher zum Flirt zum One-Night-Stand), Sexshops, Stripclubs, Bordelle als Orte sexueller Konfiguration. Aber auch Praxen wie Tango und Salsa, also (exotischer) Paartanz und die Verhandlung von Ambiguität in Geschlechterbeziehungen, Doing-Couple im Sinne der Darstellung von (sexueller) Partnerschaft in der Öffentlichkeit, die Sexualisierung gegengeschlechtlicher Kontakte in Jugendkulturen (Pimps and Bitches), Sex-Toy Tupperparties, sowie die Allokation und das Management internetvermittelter sexueller Kontakte (Adult-Friend-Finder).
Die (auch voyeuristische) Popularität dieses Forschungsthemas in der „sexualisierten Gesellschaft” setzt als Distanzierungstechniken fundierte Kenntnisse in Gender-Studies und Grundlagen in den Methoden der qualitativen Sozialforschung voraus. Teilnahmebedingungen sind daher mindestens ein Schein in Gender Studies sowie der Besuch der Vorlesung qualitative Methoden.

Soziologie der Pornografie (Übung)

Pornographie ist ein heikles Thema. Sie steht im Verdacht, den Charakter ihrer Kon- sumenten und die Moral ganzer Gesellschaften zu verderben, zur sexuellen Gewalt gegen Frauen anzustacheln und uns die Lust am Sex auszutreiben. Ihre Verdächtigkeit macht nicht zuletzt auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den „unanständigen Dokumenten” suspekt. Die Pornographie hat aber in ihrer zunehmenden Veralltäglichung eine hohe soziologische Relevanz: Sie kann als kultureller Komplex von Praktiken sexuellen Wissens betrachtet werden. Sowohl im informellen Gespräch als auch im politischen und wissenschaftlichen Diskurs, aber auch in Körperpraxen (am Pornoset oder beim heimlichen Konsum) aktualisiert sich gesellschaftlich geteiltes Wissen um Sexualität und Geschlechterdifferenz. In solchen pornographischen Praktiken zeigen sich Gesellschaften etwa an, was deviantes, bzw. „legitimes” sexuelles Verhalten ist, wo Grenzen zwischen Intimsphäre und Öffentlichkeit liegen, und nicht zuletzt, wie „männliche” und „weibliche” Körper in erotisch adäquater Weise zu „handhaben” sind. Wie wird die Geschlechterdifferenz in Pornographien transportiert, und wie machen sich KonsumentInnen durch und bei ihrem Konsum zu Männern und Frauen? Wie wird im Zeigen von Körpern der pornographische Körper hergestellt? Welche Vorstellungen von „richtiger” Sexualität leiten Zensurdebatten an?

Die akademische Auseinandersetzung mit dem Thema im Rahmen der Übung setzt zwei Dinge voraus: zum einen die Bereitschaft, schamfrei und nüchtern ‚hinzu-schauen’ und das Gesagte, Gezeigte und Empfundene zu analysieren, zum anderen den erfolgreichen Besuch mindestens einer Veranstaltung in Gender Studies.

Sinn und Sinnlichkeit - Sexualität und Differenz

Einst ein marginalisiertes Phänomen, hat sich der Sex seit den 1980er Jahren als Gegenstand soziologischer Forschung eta­bliert. Ihre Zuständigkeit für das Sexuelle macht die Soziologie, vor allem gegenüber natur­wissenschaftlichen Disziplinen, heute mit dem routinierten Verweis auf das „Soziale am Sex” geltend. Das Seminar betrachtet als dieses soziale Moment die Durchsetzung des Sexuellen mit sinnhaften Unterscheidungen. Durch die Markierung von Differenzen, etwa zwischen Geschlech­tern und Begehrensformen, Körperkategorien oder symbolischen Bereichen des „anständig­en”, „legalen” oder „perversen” wird das Sexuelle sinnhaft eingegrenzt und auf diese Weise erst kulturell konstituiert. Der spe­zifische „Sinn des Sinnli­chen” liegt neben Differenzmarkierungen als solchen in ihrer wechselseitigen Ver­schränkung, ihrer gegenseitigen Überlage­rung, Verstärkung oder Neutralisierung. Die Entschlüsselung die­ser komplexen Verfasstheit des Sexuel­len ist Ge­genstand des Seminars. Die Differenz-Perspektive auf das Sexuelle soll dafür so­wohl auf die sexuelle Alltagspraxis als auch die eigene Kon­struktion des Gegen­stands Sexualit­ät durch die So­ziologie selbst angewandt werden. Hierzu führt das Seminar zunächst in die wesentlichen theoretischen Konzepte und Positionen der Sexualsoziologie ein und untersucht anschlie­ßend in thematisch fokus­sierten Sitzungen Fälle von Differenzmarkierungen in der sexuel­len Praxis bzw. dem gesell­schaftlichen Sexualdiskurs (u.a.: Homosexualität, Intersexuali­tät, Bi-Se­xualität, Se­xualität und Behinderung, Intime Sexualität).